Insolvente Schuldner, die nach deutschem Insolvenzrecht eine Restschuldbefreiung per Privatinsolvenz anstreben, müssen einen langwierigen Weg auf sich nehmen. Gewöhnlich dauert es in Deutschland sechs Jahre, bis ihnen dieser Schuldenerlass zugutekommt. Zwar ermöglicht die Insolvenzordnung auch eine Verkürzung auf fünf oder gar drei Jahre, doch sind die Hürden hierfür sehr hoch.
Da liegt die Überlegung nahe, eine Abkürzung im Ausland zu nehmen, beispielsweise mit einer Privatinsolvenz in England. Denn das britische Insolvenzrecht sieht die Möglichkeit einer Entschuldung schon nach einem Jahr vor. Aber ist es wirklich so einfach, seine Schulden in England per Privatinsolvenz loszuwerden?
Privatinsolvenz in England kurz zusammengefasst
Die Privatinsolvenz dauert in England nur zwölf Monate. Das macht sie auch für ausländische Schuldner attraktiv.
Voraussetzung ist, dass der Schuldner seinen Lebensmittelpunkt in Großbritannien hat, sprich sein Hauptwohnsitz dort liegt, er dort einem Beruf nachgeht und lebhafte soziale Kontakte pflegt. Die Voraussetzungen erläutern wir hier noch einmal ausführlich.
Aufgrund des Brexit ist die aktuelle Rechtslage sehr unsicher. Deutsche Schuldner müssen damit rechnen, dass eine britische Restschuldbefreiung in Deutschland nicht anerkannt wird.
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Ablauf der Privatinsolvenz in Großbritannien
Die Privatinsolvenz folgt in England etwas anderen Regeln und Prinzipien als in Deutschland. Im britischen Königreich erlangen Schuldner bereits nach zwölf Monaten die Restschuldbefreiung. Die Entscheidung über den Schuldenerlass fällt bereits im Gerichtstermin zur Insolvenzeröffnung. Die Verwertung des Schuldnervermögens erfolgt unabhängig hiervon. Außerdem wird ermittelt, ob der Schuldner in der Lage ist, einen bestimmten monatlichen Betrag zu leisten.
Bei der Privatinsolvenz in England kommt jedoch keine Pfändungstabelle zum Einsatz. Stattdessen werden die persönlichen Einkünfte den angemessenen Ausgaben gegenübergestellt. Sofern sich hieraus ein Überschuss ergibt, wird eine 36-monatige Ratenzahlung vereinbart, die auch nach der Restschuldbefreiung weiterläuft.
Anders als in Deutschland trifft Schuldner während der Privatinsolvenz in England keine Erwerbsobliegenheit.
Unter welchen Voraussetzungen ist in England eine Privatinsolvenz möglich
So verlockend es auf den ersten Blick auch erscheinen mag, die Privatinsolvenz in England statt in Deutschland zu durchlaufen – ganz so einfach ist das nicht. Im Gegenteil: Die Hürden, eine Entschuldung im Wege einer solchen EU-Insolvenz zu erreichen, sind sehr hoch.
Zunächst müssen Sie Ihren Wohnsitz nach England verlagern und Ihr bisheriges Leben in Deutschland aufgeben. Dafür genügt es nicht, dass Sie einfach nur ein Hotelzimmer auf der britischen Insel anmieten oder bei Bekannten unterkommen. Wer die Privatinsolvenz in England durchlaufen möchte, muss seinen Lebensmittelpunkt im Vereinten Königreich haben. Das bedeutet nichts anderes als bei Insolvenz auszuwandern:
- Sie müssen mit Ihrer gesamten Familie nach England umziehen und Ihren Hauptwohnsitz dorthin verlagern.
- Sie dürfen keine ladungsfähige Anschrift mehr in Deutschland haben.
- Im Folgenden müssen Sie sich überwiegend in Großbritannien aufhalten.
- Achtung: Die Gerichte in England gehen sehr streng gegen Insolvenztourismus vor und prüfen die Glaubwürdigkeit gerade ausländischer Schuldner sehr genau. Auch deshalb sollten Sie Ihren Insolvenzantrag zur Privatinsolvenz in England erst mindestens sechs Monate nach Ihrem Umzug stellen.
Des Weiteren ist es erforderlich, dass der Schuldner auch seinen beruflichen bzw. wirtschaftlichen Schwerpunkt nach Großbritannien verlagert und seinen Job in Deutschland aufgibt. Das beginnt mit der Beantragung einer britischen Sozialversicherungsnummer. Suchen Sie sich eine Erwerbstätigkeit in Ihrer neuen Wahlheimat. Mit Sozialleistungen sollten Sie nicht rechnen.
Verlagerung des Lebensmittelpunkt bedeutet darüber hinaus auch, dass Schuldner ein entsprechendes Sozialleben in England aufbauen und nachweisen. Die Insolvenzbehörde bzw. die Richter werden auch diesen Punkt genau unter die Lupe nehmen, wenn Sie Privatinsolvenz in England beantragen.
Auch die Anwälte Ihrer Gläubiger werden mitunter in Frage stellen, dass Sie Ihren Lebensmittelpunkt in England haben.
Besonderheit bei der Privatinsolvenz in England: Interviews mit dem Richter und Official Receiver
Während der mindestens sechs Monate Wartezeit nach Ihrem Umzug bereiten Sie Ihren Insolvenzantrag vor, am besten mithilfe eines spezialisierten Anwalts für Insolvenzrecht – für das englische Recht wohlgemerkt. Den Antrag auf Eröffnung der Insolvenz können Sie persönlich bei Gericht einreichen.
Richten Sie sich darauf ein, dass Sie dem Richter und später dem Official Receiver (staatlicher Insolvenzverwalter) Rede und Antwort stehen müssen. Ausländische Schuldner müssen sich auf diese Interviews sehr gründlich vorbereiten. Ein Schwerpunkt bei diesen Gesprächen wird Ihr neuer Hauptwohnsitz sein. Hier steht vor allem die Frage im Raum, ob Sie Ihren neuen Lebensmittelpunkt nur fingiert haben. Viele Schuldner scheitern an diesem Punkt der Privatinsolvenz in England.
Nach diesen Interviews beginnt die eigentliche Privatinsolvenz in England. Der Official Receiver informiert die deutschen Gläubiger darüber, dass das Insolvenzverfahren nach englischem Recht über das Vermögen des Schuldners eröffnet wurde.
Diese können nun der Insolvenzeröffnung widersprechen oder andere Vorwürfe gegen ihren Schuldner benennen. Der County Court muss diesen Anschuldigungen nachgehen, sodass es zu weiteren Interviews und Kontrollen im neuen englischen Zuhause kommen kann.
Privatinsolvenz in England: Welche Kosten müssen deutsche Schuldner einkalkulieren
Anders als in Deutschland müssen ausländische Schuldner bei einem englischen Insolvenzverfahren nicht nur die Verfahrenskosten einkalkulieren:
- Auch die hohen Kosten für den Umzug nach England und damit verbundene Formalitäten schlagen hier zu Buche.
- Wer einen Relocation Service in Anspruch nimmt, um sich auf der Insel besser zurechtzufinden, muss je nach Umfang der Leistungen mit Kosten in Höhe von 5.000 bis 10.000 Euro rechnen.
- Auch die Lebenshaltungskosten werden in England höher ausfallen als in Deutschland. Sie beginnen bei etwa 1.500 £.
- Die Verfahrenskosten für die Privatinsolvenz in England fallen geringer aus. Sie betragen in etwa 700 £. Eine Stundung dieser Kosten ist anders als in Deutschland nicht möglich. Für den Insolvenzverwalter fallen ungefähr weitere 1.700 £ an.
Anerkennung der englischen Restschuldbefreiung in Deutschland
Ursprünglich wurde eine EU-Insolvenz auch in Deutschland anerkannt. Angesichts des zunehmenden Insolvenztourismus mag es aber nicht verwundern, dass sich diese Praxis in Bezug auf die Anerkennung einer englischen Restschuldbefreiung inzwischen geändert hat.
Schwierigkeiten wird es insbesondere dann geben, wenn Zweifel daran bestehen, dass der Schuldner seinen Center of Main Interest (COMI – deutsch: Lebensmittelpunkt) tatsächlich in England hat. Dann muss er genau dies gegenüber dem deutschen Gericht glaubhaft machen. Anderenfalls wird seine Restschuldbefreiung hierzulande nicht akzeptiert.
Im Übrigen kann auch das englische Gericht die Restschuldbefreiung verwehren bzw. zurücknehmen, wenn es zu dem Schluss kommt, dass der Schuldner seinen Wohnsitz nur für die Privatinsolvenz nach England verlegt hat.
Gerade wer nach einer gewährten Restschuldbefreiung übereilt in seine alte Heimat zurückkehrt, liefert Richtern und Gläubigern gute Gelegenheit, die EU-Insolvenz anzufechten.
Der Brexit kann weitere Komplikationen und Rechtsunsicherheiten nach sich ziehen. Fallen damit die Regelungen über eine mögliche Anerkennung der Restschuldbefreiung weg, so wird sich diese gegebenenfalls nur noch auf britisches Staatsgebiet erstrecken. Den deutschen Gläubigern stünde damit auch weiterhin die Zwangsvollstreckung offen.
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