Verbraucher, die in Deutschland eine Privatinsolvenz durchlaufen, müssen in diesem Verfahren etliche Hürden meistern, Obliegenheiten erfüllen und den pfändbaren Anteil ihres Einkommens abgeben.
Hinzu kommt, dass diese Verbraucherinsolvenz in der Regel zähe sechs Jahre in Anspruch nimmt, bevor der Schuldner nach einer Restschuldbefreiung seine Schulden endgültig los ist.
Die Aussicht, sich stattdessen dem kürzeren und schuldnerfreundlicheren Insolvenzverfahren eines anderen EU-Mitgliedsstaats zu unterwerfen und zu diesem Zweck seinen Lebensmittelpunkt dorthin zu verlegen, erscheint da sehr verlockend. Was es mit diesem sogenannten Center of main interest (COMI) auf sich hat, erklären wir hier.
COMI im Insolvenzrecht kurz zusammengefasst
Damit ist der „Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen“ (Lebensmittelpunkt) im Sinne des Art. 3 EuInsVO gemeint. Er ist der Maßstab für die Frage, welcher Mitgliedsstaat für die Insolvenzeröffnung zuständig ist.
Das Insolvenzgericht, bei welchem der Insolvenzantrag eingereicht wird, muss den COMI anhand der Umstände des jeweiligen Einzelfalls prüfen. Es wird dafür die sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Beziehungen des Schuldners vor Ort genau unter die Lupe nehmen.
Mit dieser Regelung soll dem Insolvenztourismus Einhalt geboten werden, indem sich ein Schuldner jenem nationalen Insolvenzrecht unterwirft, das ihm am meisten zum Vorteil gereicht und seine Gläubiger benachteiligt.
Inhalt
Anforderungen an den Center of main interest (COMI)
Theoretisch können EU-Staatsbürger in jedem Mitgliedsstaat der Europäischen Union eine EU-Insolvenz beantragen und an deren Ende in den Genuss einer EU-weit anerkannten Restschuldbefreiung kommen.
Aber eben nur theoretisch, denn zuständig für die Insolvenzeröffnung ist der Mitgliedsstaat, in dem der Schuldner seinen Lebensmittelpunkt (COMI) hat. So sieht es jedenfalls Art. 3 der europäischen Insolvenzordnung (EuInsVO) vor:
„Für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens sind die Gerichte des Mitgliedstaats zuständig, in dessen Hoheitsgebiet der Schuldner den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen hat […]. Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen ist der Ort, an dem der Schuldner gewöhnlich der Verwaltung seiner Interessen nachgeht und der für Dritte feststellbar ist.“
Ist der Schuldner eine natürliche Person (Verbraucher) und nicht selbstständig oder freiberuflich tätig, so muss dieser COMI für mindestens sechs Monate bestehen, bevor der Betroffene einen Insolvenzantrag stellen kann.
Was allerdings konkret unter dem COMI zu verstehen ist, definiert Art. 3 EuInsVO nur sehr ungenau als „Ort des gewöhnlichen Aufenthalts“.
Das Insolvenzgericht vor Ort muss alle Umstände des Einzelfalls würdigen und prüfen, ob der COMI wirklich in diesem Land liegt. Hierbei berücksichtigt es die sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Beziehungen vor Ort.
Kriterien für das Bestehen eines COMI
Anhaltspunkte dafür, dass der Schuldner seinen COMI wirklich in dem Land hat, in dem er den Insolvenzantrag gestellt hat, sind Folgende:
- Er hat dort seinen Hauptwohnsitz und ist bei der Behörde gemeldet. Ein Hotelzimmer oder eine Briefkastenadresse sprechen hingegen dafür, dass der „Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen“ woanders liegt.
- Der Schuldner muss tatsächlich in der Wohnung wohnen, was er z. B. mit einem entsprechenden Strom- und Wasserverbrauch belegen kann und mit einem Telefon- oder Internetanschluss, den er wirklich benutzt. Eine gute Ergänzung sind Quittungen über die täglichen Einkäufe.
- Auch ein Bankkonto, über das sämtliche finanzielle Transaktionen laufen, spricht für einen COMI in diesem Mitgliedsstaat.
- Ein Arbeitsplatz vor Ort einschließlich Lohnbescheinigung ist ebenfalls Pflicht für Schuldner, die einen bestimmten Lebensmittelpunkt nachweisen wollen. Es versteht sich von selbst, dass sie dort auch Steuern zahlen sollten.
- Ein weiteres Indiz für den COMI sind gute bis sehr gute Sprachkenntnisse, bilden sie doch die Basis für alle wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Beziehungen.
- Wer keine sozialen Kontakte in seiner neuen Heimat hat, wird Schwierigkeiten haben, das Gericht von seinem COMI zu überzeugen. Anders sieht es aus bei Schuldnern, die mit ihrer ganzen Familie zum neuen Lebensmittelpunkt umgezogen sind, hin und wieder mit ihren Kollegen ein Feierabendbier trinken und Freunde vor Ort haben. Auch die Zugehörigkeit zu einem Verein oder Club ist hilfreich.
- Weitere Anhaltspunkte bilden kulturelle Aktivitäten und Hobbys, denen der Schuldner nachgeht.
Europarechtliche Hintergründe zum COMI
Die soeben erläuterte Regelung, dass der Schuldner in einem EU-Mitgliedsstaat nur dann ein Insolvenzverfahren durchlaufen kann, wenn er dort seit geraumer Zeit seinen Lebensmittelpunkt hat, soll dem sogenannten „Forum Shopping“ entgegenwirken.
Der Begriff bezeichnet ein rechtsmissbräuchliches und systematisches Ausnutzen nebeneinander bestehender Zuständigkeiten um der eigenen (rechtlichen) Vorteile willen.
Die COMI-Regelung soll Insolvenztourismus verhindern, bei dem sich Schuldner jenes nationale Insolvenzrecht auswählen, das ihnen die meisten Vorteile verspricht und ihren Gläubigern schadet. Erst täuschen sie einen neuen Lebensmittelpunkt vor, um anschließend in ihrem Wunschland Insolvenz beantragen zu können.
Aus diesem Grund sind die Anforderungen an den Center of main interest sehr hoch. Das Gericht prüft von Amts wegen, ob dieser Mittelpunkt des hauptsächlichen Interesses tatsächlich in diesem Land liegt.
EU-Insolvenzverfahren in einem anderen Mitgliedsstaat ist legal
Die Tatsache, dass ein EU-Bürger seinen COMI in ein anderes Land verlegt, die dortigen Vorteile nutzt und gegebenenfalls einige Zeit später dort eine Privatinsolvenz durchläuft, ist für sich allein genommen nicht verwerflich. Und es ist vollkommen legal, dass der Schuldner von der dort erteilten Restschuldbefreiung profitiert.
Jedes Land der Europäischen Union muss die Restschuldbefreiung aus einem anderen Mitgliedsstaat anerkennen. Das kommt z. B. einem deutschen Schuldner zugute, der diesen Schuldenerlass in Lettland erlangt, weil die Restschuldbefreiung gegenüber seinen deutschen Gläubigern gilt.
Der Grund für diese EU-weite Anerkennung einer nationalen Restschuldbefreiung liegt in den europarechtlichen Grundfreiheiten. Die Niederlassungsfreiheit etwa erlaubt jedem EU-Bürger, sich in einem Mitgliedsstaat seiner Wahl niederzulassen und seinen Lebensmittelpunkt (COMI) dorthin zu verlegen.
Warum er einen Wohnsitz in einem bestimmten EU-Land auswählt, ist ganz allein seine Angelegenheit und kann z. B. folgende Gründe haben:
- günstigere Steuern
- niedrigere Miet- und Grundstückspreise
- erschwinglichere Lebenshaltungskosten
- besser bezahlte Jobs
Folglich darf ein Schuldner seinen COMI auch in ein anderes Land der EU verlegen und nach sechs Monaten dort die Privatinsolvenz beantragen.
Rechtsmissbräuchlich ist es nur, wenn ein Verbraucher eben diese Lebensmittelpunkt vortäuscht, um in den Genuss eines vorteilhafteren Insolvenzverfahrens zu kommen.
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