Das englische Insolvenzverfahren wirkte bisher auch auf deutsche Schuldner verlockend, denn in Großbritannien dauert die Wohlverhaltensphase nur zwölf Monate. Anschließend erfolgt die Restschuldbefreiung (engl.: „Discharge“).
Bis zum Brexit, dem Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union bot die Insolvenz in England auch deutschen Schuldnern die Chance auf eine schnelle Restschuldbefreiung, die in Deutschland und der gesamten EU anerkannt wurde.
Insolvenz in England kurz zusammengefasst
Das Vereinigte Königreich gehört nicht mehr zur EU, sodass eine dort erteilte Restschuldbefreiung hier in Deutschland nicht mehr anerkannt werden muss. Deshalb lohnt es sich derzeit nicht, die Kosten und den Aufwand für eine Privatinsolvenz in England auf sich zu nehmen, weil die Schuldner hierzulande trotzdem eine Zwangsvollstreckung befürchten müssen.
Deutsche Schuldner müssen ihren Lebensmittelpunkt seit mindestens sechs Monaten in Großbritannien haben, bevor sie dort ihre Insolvenz anmelden dürfen. Die Gerichte prüfen diese Voraussetzung sehr genau, um dem Insolvenztourismus in England einen Riegel vorzuschieben.
Für Verbraucher in Deutschland bieten sich drei Alternativen zur englischen und zur EU-Insolvenz: eine außergerichtliche Einigung mit allen Gläubigern über die Schuldenregulierung, ein einjähriges Insolvenzplanverfahren oder die Privatinsolvenz, die drei Jahre dauert.
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Englisches Insolvenzverfahren: Ablauf und Voraussetzungen
Das Insolvenzverfahren verläuft in England für deutsche Schuldner in drei Phasen:
- Vorbereitungen vor der Insolvenzeröffnung: Bevor deutsche Schuldner eine Insolvenz in England beantragen können, müssen sie dort für mindestens sechs Monate ihren Lebensmittelpunkt (COMI) haben – also nach Großbritannien umziehen, dort leben, wohnen, arbeiten und soziale Kontakte pflegen.
- Insolvenzeröffnung & Insolvenzverfahren: Erst nach diesen sechs Monaten stellt der Schuldner persönlich einen Insolvenzantrag. Bevor das Gericht jedoch die Insolvenz eröffnet, lädt er den Schuldner zu einem “Hearing“. Während dieser Anhörung werden die Voraussetzungen für eine Insolvenzeröffnung geprüft und auch, ob der Schuldner seinen Lebensmittelpunkt tatsächlich in England hat. Mit der Eröffnung des Verfahrens ist der Schuldner vor Zwangsvollstreckungen geschützt. Er muss in den folgenden drei Jahren Ratenzahlungen leisten – sofern er dies finanziell stemmen kann.
- Restschuldbefreiung: Die Insolvenz in England – genauer gesagt, die Wohlverhaltensphase – dauert in der Regel lediglich zwölf Monate. Anders als in Deutschland besteht für den Schuldner dort keine Erwerbsobliegenheit. Außerdem sieht das Insolvenzrecht in England keine festen pfändbaren Beträge vor.
Auswirkungen des Brexits: Anerkennung der Restschuldbefreiung fraglich
Bisher war eine in England erteilte Restschuldbefreiung auch in Deutschland bzw. der EU allgemein anerkannt. Denn die EU-Verordnung 1364/2000 sieht vor, dass die Mitgliedstaaten Insolvenzverfahren in allen EU-Staaten gegenseitig anerkennen.
Doch das Vereinigte Königreich gehört nun nicht mehr zur EU, sodass EU-Recht hier nicht mehr gilt und eine Insolvenz in England mit Restschuldbefreiung nicht mehr von deutschen Gerichten anerkannt werden muss. Für deutsche Schuldner, die in England die Insolvenz durchlaufen (haben), bedeutet dies im schlimmsten Fall, dass ihre Gläubiger weiterhin die alten Schulden eintreiben können.
Aufgrund dieser massiven Rechtsunsicherheit ist die englische Insolvenz kaum noch empfehlenswert. Stattdessen bietet sich ein Insolvenzplanverfahren in Deutschland an, welches dem Schuldner eine Entschuldung innerhalb eines Jahres ermöglicht. Wer die Voraussetzungen hierfür nicht erfüllt, kann stattdessen die Privatinsolvenz durchlaufen. Auch wenn dieses Verfahren mit drei Jahren deutlich länger dauert, birgt sie doch die Chance auf eine wirksame Restschuldbefreiung.